Ein achtteiliges Biopic erzählt die Geschichte von Leonard Cohen und seiner norwegischen Geliebten Marianne Ihlen auf der Insel Hydra. Darüber wurden schon einige Filme gedreht, der Sänger hat seine Muse in Songs verewigt. Dabei war das mit der Muse ein einziges Missverständnis.
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Wer das Glück der lebenslangen Liebe kennt, kennt auch die Frage: „Hältst Du meine Grabrede?“ Als Marianne Ihlen sie Leonard Cohen stellt, in „So Long, Marianne“, einer achtteiligen Serie des NDR, sind beide um die 30 und seit sechs Jahren ein Paar. Cohen sagt, was man darauf sagt: Er würde früher sterben, sie werde die Rede für ihn halten müssen.
Ob die Liebesschwüre genau so bekräftigt wurden, eines sonnigen Morgens auf der Insel Hydra in der griechischen Ägäis, bevor sich die beiden trennten, weiß natürlich niemand. Was man weiß, ist, dass Leonard Cohen für Marianne Ihlen einen Abschiedsbrief geschrieben hat, als sie im Sterben lag. So fängt die Serie an, und so geht sie nach sechseinhalb Stunden zu Ende. Cohen schreibt: Er war kein Frauenheld, es sei nur einfacher gewesen, andere zu lieben als sich selbst; er kannte sie schon lange, bevor er sie kennenlernte; ihre Liebe währe länger als ihre zwei Leben. „Ich habe deine Liebe und deine Schönheit niemals vergessen. Aber das weißt du. Mehr muss ich nicht sagen. Sichere Reise, alte Freundin! Ich bin hinter dir, so nah, ich könnte deine Hand berühren. Wir sehen uns am Ende des Weges.“
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Die Geschichte ist, weil sie so groß ist wie die größten Liebesdramen, schon so oft erzählt worden. In Sachbüchern, Dokumentarfilmen und nun, im Jahr der 90. Geburtstage von Leonard und Marianne, auch in Podcasts. Immer als Geschichte von Genie und Muse. „So Long, Marianne“ macht aus dem, was man weiß, und allem, was sich dazu fantasieren lässt, ein ausführliches Biopic und kommt damit den Quellen näher, die der Serie auch zugrunde liegen: Cohens Lebenswerk. Songs eben wie „So Long, Marianne“.
Das Lästige an solchen Biopics findet sich auch in dieser Serie wieder, wofür die Autoren aus den Heimatländern ihrer beiden Helden, Kanada und Norwegen, weniger können als die norwegisch-kanadische Regie und Alex Wolff als Leonard. Cohen wirkt mit seinem Rundrücken und seinem weisen Lächeln cohenhafter, als es Cohen selbst wohl war. Um ihn herum erscheinen Parodien der Persönlichkeiten seiner Zeit. Nico und Janis Joplin, Andy Warhol, Allen Ginsberg und Lou Reed. Thea Sofie Loch Næss hat es als Marianne Ihlen, als von Schmalfilmen und von Schwarzweißfotos gezeichnete Legende, leichter, sich von den berühmten Bildern in den Köpfen zu befreien und ihre Fiktion zu spielen, um diese Geschichte zu erzählen.
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Angenehm an solchen Biopics ist allerdings, dass man weiß, wie es ausgeht. Niemand läuft Gefahr, anderen etwas zu verraten, was sie erst noch sehen wollen und nicht ahnen könnten. Dass Leonard Cohen, als er Hydra und Marianne Ihlen in den späten Sechzigern wieder verlässt, als Songpoet gefeiert wird, als wichtigster neben Bob Dylan, ist kein Spoiler.
Als Liebender ein Lügner
„So Long, Marianne“, die Serie, erzählt, wie er auf Hydra landet: 1960 flieht er mit einem kanadischen Literaturpreis für seine Gedichte vor seiner Familie in Montreal zunächst nach London und, weil London ihn beim Dichten stört, dorthin, wo die Bohème schon eine Kolonie gegründet hat. Auf eine Insel, die den Namen eines Wesens aus der griechischen Mythologie trägt, aber vor allem arme Künstler leben lässt wie Reiche. Hydra sei der billigste Ort, den es gibt, sagt Charmain Clift. Sie und ihr Mann George Johnston sind das Königspaar der schreibenden und saufenden Exilanten. Cohen geht mit ihr ins Bett – bis er Marianne Ihlen trifft, als sie drei Wasserkrüge durch die Gassen schleppt, und sich in sie verliebt.
Die Serie zeigt aber nicht nur Cohens weiten Weg dorthin, von Montreal zum Mittelmeer, auf seiner Flucht aus einem Haus, in dem er mit seinem dementen Großvater, einem Rabbiner, und mit seiner depressiven Mutter lebte, fort von der Textilfabrik, in die ihn die Familie steckte, nachdem er sein Studium geschmissen hatte und vom Schreiben leben wollte. Alles in Schwarzweiß. Sein Leben färbt sich erst, als er am Inselhafen einläuft und sich, als ihm seine Großmutter ein Erbe von 1500 Dollar hinterlässt, ein Haus kauft.
„So Long, Marianne“ erzählt nicht weniger episch von Mariannes Träumen, ihrer Reise mit dem Autor Axel Jensen in den Fünfzigern, von Oslo nach Südosteuroeuropa, in einem blutroten VW-Käfer. 1957 werden sie auf Hydra sesshaft, 1959 kommt ihr Sohn zur Welt. Die Serie zeigt eine Liebe, wie sie toxischer nicht sein könnte. Als Marianne sich in den Dichter aus Kanada verliebt, ist sie bereits allein mit ihrem Kind.
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Von Leonard Cohen lernen, heißt lieben lernen
In all den Darstellungen in Büchern und Filmen ist die Liebe zwischen Leonard und Marianne tief und toxisch. Leonard, der manische Poet und dunkle Geist, der, wenn ihr Haus ans Telefonnetz angeschlossen wird und vor dem Fenster eine Taube auf der Leitung sitzt, ein Lied darüber schreibt, „Bird on the Wire“ mit Zeilen wie: „And if I, if I have been untrue / it’s just that I thought a lover had to be some kind of liar too“. Und sollte ich mal unehrlich zu dir gewesen sein, dann nur deswegen, weil ich dachte, dass ein Liebender eine Art Lügner sein sollte. Und jene Marianne, sein „Nordischer Engel“ und für ihn die schönste Frau auf Erden, die dem Geist ein Heim bereitet und eine Familie schenkt, die ihn beschützt, auch vor sich selbst. Toxisch ist ihre Liebe nicht. Nicht in der Serie und auch im Leben nicht, sonst wäre sie gescheitert und hätte nicht alles überlebt: Cohens Karriere als Sänger seiner Gedichte und seine Familie mit Suzanne Elrod – und Ihlens Heimkehr nach Oslo, ihre Arbeit in der Personalabteilung und ihre neue Familie namens Stang. Die Liebe hielt, ein Leben aber für sie gab es nur auf Hydra.
„So Long, Marianne“ zeigt auch, warum. Auf Hydra funktioniert ihre Symbiose: Leonard, der schöne, heitere, intelligente Mann mit seinen manischeren Phasen und die schöne, heitere, intelligente Frau mit ihrer Hoffnung, alles könnte immer bleiben, wie es ist, wenn es gerade so ist, wie es sein soll. Er singt Wiegenlieder. Sie schwimmen im Meer. Nachts tanzen sie in der Taverne zur Bouzouki und betrinken sich mit ihren britischen und amerikanischen, australischen und norwegischen Freunden. Sonnenaufgang. Er sitzt an der Schreibmaschine oder weckt sie und den Sohn mit der Gitarre. Sie reisen nach Oslo, sie versuchen es in Montreal, wo Marianne sagt: „Ich kenne dich hier nicht.“ Zurück auf Hydra, wo er vor dem Spiegel „Jamas!“ ruft und seine Pillen einwirft, wo die Flaschen auf dem Schreibtisch stehen, rettet sie ihn vor dem Tod, als seine Nerven aufgeben und seine Nieren versagen.
Immer wieder geht er fort, um seine Bücher zu bewerben und um, wie Bob Dylan, Songs zu schreiben und zu singen. Nach New York ins Chelsea Hotel und, als Judy Collins mit „Suzanne“ von ihm im Radio erscheint, in die Columbia-Studios, wo er, bereits 32 Jahre alt, sein erstes Album aufnimmt. Jeder Abreise auf Hydra geht ein heftiger Streit voraus. Cohen schreibt „So Long, Marianne“: „Your letters, they all say that you’re beside me now / Then why do I feel alone? / I’m standing on a ledge and your fine spider web / Is fastening my ankle to a stone.“ Sie schreibt ihm Briefe, in denen sie immer bei ihm ist, doch er fühlt sich allein; er steht auf einer Klippe, und ihr Spinnennetz knüpft seinen Knöchel an den Stein.
Marianne ist mehr als eine Muse. Ihre beider Liebe ist nicht asymmetrisch, die Verhältnisse und Umstände sind es. Daran hat Cohen sich in seiner Lyrik und in seinen Liedern immer wieder selbst erinnert, bis zu seinem Tod, in „Days of Kindness“ und „What Happens to the Heart“, seinem eigenen Requiem, bevor er im Herbst 2016 starb, drei Monate nach Marianne Ihlen.
Und auch „So Long, Marianne“, die Serie, ist mehr als ein mehrteiliger Film über Leonard Cohen und die Frau, die er sein Leben lang und darüber hinaus geliebt hat. Ein dafür gar nicht so langer Film über das Beste, was einem im Leben auf der Erde widerfahren kann. Ewige Liebe.
Ab 2. Oktober 2024 im NDR und ab sofort in der ARD-Mediathek